Erzieherinnen im Gespräch

Wozu Fachberatung?

Christa Preissing im Interview mit Barbara Leitner

29.09.2015 Kommentare (0)

Das Bundesfamilienministerium beauftragte Wissenschaftlerinnen aus dem Bereich der Frühkindlichen Bildung zentrale Aspekte für Qualität näher zu betrachten und in Expertisen ihre Vorschläge vorzustellen. Zusammen mit Gabriele Berry und Dr. Eveline Gerszonowicz schrieb Christa Preissing, Direktorin des Berliner Kita-Instituts für Qualitätsentwicklung (BeKi) in der Internationalen Akademie (INA gGmbH) in diesem Kontext eine Expertise zur Fachberatung im System der Kindertagesbetreuung. Im Interview mit Barbara Leitner gibt sie Auskunft zu zentralen Erkenntnissen und Positionen. Wir übernehmen das Interview mit freundlicher Genehmigung aus Betrifft Kinder 06/07-2015.

  • Weshalb ist Fachberatung wichtig?

Wenn neue Anforderungen auf die Kindertageseinrichtungen einströmen, sind die Fachkräfte und auch die Leitungskräfte in den Kitas herausgefordert, diese mit den bisher gemachten Erfahrungen zu verbinden. Da braucht es einen etwas distanzierten Blick von außen. Auch eine Leitung kann nicht immer sofort sagen, wo die innovativen Möglichkeiten in einem Team liegen und was unbedingt beibehalten werden soll. Kitas sollten nicht in die Versuchung geraten, mit jeder Mode mitzugehen. Die Bildungsprogramme der Länder haben viele Anbieter animiert, Projekte und Programme für Kitas auf den Markt zu bringen. Fachberatung unterstützt die Teams, gemeinsam zu recherchieren: Was passt zu uns und zu unserem Konzept? Was wollen wir von solchen neuen Anregungen aufnehmen und wo sagen wir auch klar: »Nein, da machen wir nicht mit.

  • In dem Sinne ist Fachberatung eine wichtige Vermittlungsinstanz.

Ja. Fachberatung ist eine Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis und zwischen Fachpolitik und Praxis. Das heißt, sie ist aufgrund ihrer strukturellen Verankerung in der Lage, mehrere Perspektiven einzunehmen und zwischen den verschiedenen Anforderungen zu vermitteln: Anforderungen vom Träger, von den Eltern, aus der Bildungspolitik. Die Verbindung in die Praxis müssen die Fachkräfte selbst herstellen. Die Fachberaterinnen vermitteln dabei.

  • Es gibt einen Spruch, der sagt, der Mittler würde geschlagen.

Ja, Fachberatung sitzt häufig zwischen allen Stühlen. Dabei ist das eine Aufgabe, in die man – wie es ein Fachberater im Porträt für Betrifft KINDER sagte – »so hineinwächst«.

Das ist auch eine unserer wesentlichen Kritiken in der Expertise: Dass es keine Ausbildung und viel zu wenig Weiterbildungen für diese Funktion gibt. Viele Fachberaterinnen waren vorher Erzieherinnen oder Kitaleiterinnen. Andere haben eine Hochschulausbildung, sind aber nicht spezifisch für die Kita ausgebildet. Vielleicht haben sie sich mit Methoden der Erwachsenenbildung beschäftigt, sind aber nicht unbedingt Expertinnen für die Arbeitswelt Kita. Das müssen sie sich dann irgendwie aneignen.

  • Und das gelingt ja auch »irgendwie«.

Ja. Die Verbände der freien Träger und auch die Landesjugendämter bieten entsprechende Weiterbildungsangebote oder Fachtagungen an. Allerdings hat sich nur eine Institution in der Bundesrepublik in den vergangenen Jahrzehnten träger- und länderübergreifend immer wieder mit dem Thema Fachberatung befasst: der Deutsche Verein. Der bietet auch mit einem jährlichen Fachforum für Fachberaterinnen und Fachberater diesen eine sehr nachgefragte Anlaufstelle. Das zeigt, wie wichtig es den Fachberaterinnen selbst ist, sich weiter zu qualifizieren und sich über Träger- und Landesgrenzen hinweg auszutauschen. Hierfür gibt es zu wenige Angebote.

  • Ich las mit Erstaunen, dass es Fachberatung bereits seit 100 Jahren gibt!

Und genauso lange gibt es die Diskussion, ob Fachberatung auch Aufsichtsfunktionen über die Fachkräfte haben sollte, die sie berät. Oder ob sie eine unabhängige Fachperson sein sollte, die sich das Vertrauen der Fachkräfte erarbeiten kann, ohne dass die Fachkräfte die Befürchtung haben müssten, dass es zu Sanktionen kommen könnte, wenn sie beispielsweise von Schwierigkeiten berichten.

  • Dieses Dilemma zwischen Fach- und Dienstaufsicht thematisiert auch Ihre Studie.

Das Dilemma besteht oft darin, dass Fachberaterinnen weisungsberechtigt gegenüber den Fachkräften sind und selbst Weisungen ihres Anstellungsträgers befolgen müssen. Nicht immer stimmen dabei die fachlichen Vorstellungen überein. Nehmen wir ein Beispiel: Beim quantitativen Ausbau für die jüngsten Kinder sind oft Gruppen einfach aufgestockt worden. Das hat zu einer qualitativen Verschlechterung geführt, während sich die Anforderungen an die Fachkräfte erhöhten. Da muss eine Fachberaterin eigentlich klar Stellung beziehen und sagen: Das geht so nicht. Der Träger, bei dem sie angestellt ist, will den Bedarf decken. Damit entsteht ein Konflikt. Gleichzeitig hat es auch Vorteile, wenn die Fachberatung mit Funktionen der Aufsicht vor allen Dingen mit Fachaufsicht ausgestattet ist. Sie kann intervenieren, wenn in den Kitas gegen Rechte von Kindern verstoßen wird, wenn die pädagogische Arbeit nicht so gestaltet wird, wie es für die Kinder erforderlich wäre.

  • Was würde passieren, wenn Fachberatung prinzipiell ohne Aufsichtsbefugnis wäre?

Das Problem kennen wir auch schon so lange, wie wir über Fachberatung diskutieren: Dann ist ihre Inanspruchnahme freiwillig und es wird immer Kitas geben, die sagen: »Wir brauchen Fachberatung nicht. Wir können das alleine, machen es so, wie wir es immer gemacht haben.« Das ist nicht immer zum Besten.

  • Das hieße, nicht jede Kita bekäme Fachberatung.

Ja, das ist auch Fakt. Viele Träger haben, wenn die finanziellen Ressourcen nicht für eine eigene Fachberatung ausreichen, ihre Fachberatung bei den Trägerverbänden angesiedelt, bei den Trägern der freien Wohlfahrtspflege beispielsweise. Die wird freiwillig in Anspruch genommen.

  • Ihre Studie sagt, dass eine Fachberaterin nicht für mehr als 20 Kitas zuständig sein sollte.

Es gibt Fachberaterinnen, die über 200 Kitas betreuen. Das ist eine Ochsentour. Da kann man nur Informationen weitergeben. Wir denken, eine Fachberatung sollte die Kitas, die sie berät, auch wirklich gut kennen; vor Ort sein, miterleben, wie die pädagogische Arbeit gestaltet wird, mit welchen Kindern die Fachkräfte zu tun haben, mit welchen Familien. Allein dadurch muss sich die Anzahl der Kitas pro Fachberaterstelle reduzieren. Zudem haben Fachberaterinnen auch die Aufgabe, Kitas untereinander zu vernetzen. Sie sollen den Austausch zwischen den Kitas eines Trägers oder eines Trägerverbandes organisieren und dafür sorgen, dass Arbeitsgruppen entstehen. Die leiten sie zum Teil an oder sie sorgen dafür, dass der Austausch fachlich gut vor- und nachbereitet wird. Auch deshalb denken wir an eine Zahl von maximal 20 Einrichtungen.

  • Wenn Sie vorschlagen, eine Fachberatung sollte maximal 20 Kitas beraten, haben wir den nächsten Fachkräftemangel, oder?

Dann muss man Fachkräfte entsprechend qualifizieren. Wir haben jetzt verschiedene Bachelor- und Master- Studiengänge in der Frühpädagogik. Auch wenn ich mich freue, wenn diese Absolventinnen direkt mit Kindern und Eltern arbeiten, finde ich, sind sie auch geeignet, Fachberatungsaufgaben wahrzunehmen. Dafür benötigen sie allerdings auch unmittelbare Erfahrungen im Arbeitsfeld Kita.

  • Wenn Fachberaterinnen sowohl Leitungen als auch Träger bei der Qualitätsentwicklung beraten, müssen sie sehr starke Persönlichkeiten sein.

Ja, und auch politisch denkende Personen. In der 100-jährigen Geschichte kann man nachlesen, dass Fachberaterinnen und Fachberater an der fachpolitischen Entwicklungen entscheidend mitwirkten. Aus ihrer Feder kommen in der Regel Positionspapiere.

  • Heißt das, Fachberatung hat früher häufig »aufgemuckt«?

Das kann man durchaus so sagen. Allerdings erlebten die alten Bundesländer, dass Fachberaterstellen eingespart wurden. In Berlin fielen beispielsweise mit der Übertragung von den kommunalen Kitas an freie Träger viele Fachberaterstellen weg. Nicht alle freien Träger haben Fachberatungen. Diese spielen aber weiterhin eine wichtige Mittlerfunktion von der Praxis in die Politik. Bei Gesetzesveränderungen auf Länderebene gibt es immer Anhörungen der Spitzenverbände, also der Trägerorganisationen. Da sind Fachberatungen diejenigen, die ihre fachpolitischen Forderungen in die Verhandlungen einbringen und auch ihre Stimme mit Gewicht einbringen.

  • Gibt es Belege dafür, dass Fachberatung erfolgreich ist?

Es gibt fast keine Studien über Fachberatung. Es gibt eine WIFF-Expertise die sagt, dass insbesondere Leitungskräfte Fachberatung sehr gerne auch zur eigenen Selbstvergewisserung nutzen. Bei den Fachkräften ist das Bild unterschiedlich. Oft äußern diese Kritik, dass Fachberaterinnen und Fachberater zu wenig konkret über ihre Arbeit Bescheid wissen – auch weil sie 50 und mehr Kitas zu betreuen haben. Außerdem wird bemängelt, dass sie selber keine Zeit haben, Fachberatung in Anspruch zu nehmen.
Wir empfehlen, Zeit für die Fachberatung bei der Bemessung der unmittelbaren pädagogischen Arbeit zu berücksichtigten. Fachberatung soll unserer Meinung nach eine Pflichtleistung im SGB VIII werden.

  • Einige Kitas nutzen sie, andere nicht.

Im Zusammenhang mit der Diskussion um ein Bundesqualitätsgesetz geht es darum, vergleichbar gute Bedingungen für Kinder zu schaffen, unabhängig davon, in welchem Bundesland sie aufwachsen und welche Kita sie besuchen. Wenn die Frage ist, welche gesetzlichen Regelungen das unterstützen, gehört Fachberatung einfach dazu.
Jetzt sagt das SGB VIII bereits, dass die kontinuierliche Qualitätsentwicklung bei der Bildung und Erziehung der Kinder in Zusammenarbeit mit den Eltern zu den laufenden Aufgaben von Kita-Trägern gehört. Dabei brauchen sie eine fachliche Unterstützung. Von daher ist eine unserer zentralen Empfehlungen, das breite Berufsbild von Fachberatung auf diese Unterstützung von Qualitätsentwicklungsprozessen zu fokussieren.

  • Mit welchen Instrumenten entwickeln Fachberaterinnen Qualität?

Bei den großen Trägerorganisationen entstanden Qualitätshandbücher. Im Land Berlin wurden für die interne und externe Evaluation zum Bildungsprogramm differenzierte Methoden entwickelt. Damit arbeiten Fachberaterinnen. Sie greifen beispielsweise Empfehlungen aus der externen Evaluation auf und bleiben durch ihre Begleitung an den notwendigen Veränderungsprozessen dran – gleich ob es Konzeptentwicklung, Haltungsänderungen, Änderungen der Abläufe, der Räume, Vernetzung betrifft. Wie wirksam sie damit sein können, hängt immer auch davon ab, inwieweit die Fachkräfte bereit sind, sich selbstkritisch zu hinterfragen.

  • Wie steht es mit der Fachberatung für die Kindertagespflege?

Bei der Kindertagespflege vermitteln die Fachberaterinnen auch die Kontakte zu den Familien. Das heißt, für die Tagesmutter, den Tagesvater hängt deren Existenz von der Fachberatung ab. Darum wird sie ihr nicht unbedingt von ihren Schwierigkeiten berichten. Hier sind Aufsichts- und Beratungsfunktion ungünstig verknüpft. Darüber hinaus unterstützt Fachberatung in der Kindertagespflege auch in Versicherungs- oder Steuerfragen und hilft beim Management. Meiner Meinung nach wäre es besser, hierfür verschiedene Personen einzuschalten.

  • Spielt auch die Beratungszeit für die Kindertagespflege noch einmal eine andere Rolle?

Natürlich. Laut Gesetz ist Kindertagespflege gleichwertig zur Kita. Dann müssen die Kindertagespflegepersonen auch einen Anspruch auf Zeiten haben, in den sie Fachberatung nutzen können.

  • Wie ist das mit der Finanzierung von Fachberatung? Die Träger erhalten die Mittel pro Kind und sie entscheiden dann, wie viel sie davon für Fachberatung nutzen?

In Ländern, in denen es wie z.B. in Berlin oder in Hamburg diese subjektorientierte Finanzierung gibt, ist das so. Allerdings gibt es nur sehr wenige Länder, die überhaupt gesetzliche Regelungen zur Fachberatung haben.

  • Was wäre eine gute Regelung für Fachberatung?

Ich denke, die Fachberatungen sollten bei den Trägerorganisationen angesiedelt sein. In einem Stadtstaat wie Berlin ist das machbar. In Flächenstaaten wird es komplizierter. In dünn besiedelten Landstrichen ist es schwieriger, dass zu der einen Kita in jedem Ort jemand vom Trägerverband kommt. Da wären Kooperationsvereinbarungen zwischen den Trägerorganisationen vorstellbar. Das halte ich auch für ein Modell für jene Träger, die keinem Verband angehören.

  • Das könnte auch für Kinderläden zutreffen, oder?

Kinderläden sind in in einigen Bundesländern einem Dachverband angeschlossen. Das ist nicht überall so. Es gibt kleine Träger, die nirgends organisiert sind. Wenn wir jetzt sagen, Fachberatung wird als Pflichtaufgabe festgeschrieben, müsste es beim örtlichen Jugendamt eine entsprechende Möglichkeit geben, Fachberatung abzurufen.

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