
Zum Start der ersten externen Evaluation im Land Berlin
Den folgenden Beitrag haben wir mit freundlicher Genehmigung der Redaktion aus Heft 06-07 von Betrifft Kinder übernommen.
„Schauen Sie sich ruhig um und stellen Sie Ihre Fragen“, sagt Sylvia Kaschner und öffnet die Türen der Kita am Prellerweg im Berliner Süden. Die Einrichtung des Eigenbetriebs Südwest gehört zu den ersten cirka 30 in der Hauptstadt, die im vergangenen Jahr schon mal probehalber extern evaluiert wurden, bevor das Programm am 1. August 2010 startet. „Im Vorfeld bestanden durchaus Ängste, dass es um Kontrolle geht“, erinnert sich die Kita- Leiterin. Doch sie ermunterte die Kolleginnen, nicht anders als üblich zu arbeiten, keine Extras vorzubereiten.
Die Art, in der sich die Evaluatorinnen durch das Haus bewegten, gab ihr Recht. Sie verhielten sich zurückhaltend, schauten interessiert, fragten auch die Kinder. „Außerdem fühlten wir uns durch die interne Evaluation gut vorbereitet“, ergänzt Maud Apel, die Stellvertreterin.
Berlin ist Vorreiter in Sachen Qualitätsentwicklung
„Als wir in der Leitungssitzung fragten, wer zur Evaluation bereit sei, gingen die Finger etlicher Leiterinnen hoch“, sagt Martina Castello, pädagogische Geschäftsführerin vom Eigenbetrieb Süd-West und zuständig für 37 Kitas mit 750 Mitarbeiterinnen. Sie ist überzeugt, dass profunde Fortbildungen des Trägers und die guten Erfahrungen bei der internen Evaluation für solch ein offenes Klima sorgten.
In den nächsten fünf Jahren, so sieht es die Qualitätsvereinbarung zwischen dem Berliner Senat und den Trägerverbänden (QVTAG) vor, werden sich alle Kitas einer externen Evaluation stellen. Überprüft wird, ob und wie sie nach dem Berliner Bildungsprogramm arbeiten. „Durch einen neutralen Blick von außen sollen blinde Flecke aufgespürt werden, und die Kitas sollen passgenaue Empfehlungen für ihre Weiterentwicklung erhalten“, erläutert Christa Preissing, Direktorin des Berliner Kita- Instituts für Qualitätsentwicklung. „Damit ist Berlin Vorreiter in Deutschland“, betont sie.
Zwar gibt es auch andernorts einzelne Kitas, Träger oder Kommunen, die sich dem Außenblick stellen. Nirgendwo sonst aber ist die Qualitätsüberprüfung für ein ganzes Bundesland vorgesehen. In Bremen werden gerade Mindeststandards festgelegt, in Hamburg wird überlegt, durch Inspektion zu testen, wo die Kinder die besten Ergebnisse erzielen. „Uns aber geht es darum, herauszufinden, ob die Kita den Kindern die Möglichkeit gibt, sich zu entfalten. Mit der Evaluation haben wir zum ersten Mal das dafür nötige verbindliche Qualitätsentwicklungs-Konzept“, erklärt Christa Preissing.
Qualität nicht zum Nulltarif
Qualität braucht Bedingungen und ist nicht zum Nulltarif zu haben. Deshalb wurde in der QVTAG vereinbart zu prüfen, welche Zeiten zur Vorbereitung und Dokumentation nötig sind. Ohne eine Koppelung an die Personalausstattung wäre es nicht möglich gewesen, den Kitas eine solche Herausforderung wie die konsequente Qualitätsentwicklung zum Bildungsprogramm zuzumuten. Mindestens 23 Prozent der Gesamtarbeitszeit einer Erzieherin oder eines Erziehers seien nötig, um pädagogische Aktivitäten vor- und nachzubereiten, mit Eltern zu kooperieren, sich um Qualitätsentwicklung und -sicherung zu kümmern und sich zu vernetzen, also die Arbeit zu tun, die mit dem Bildungsprogramm verbunden ist, belegt eine Studie, die vom Berliner Kita-Bündnis erarbeitet wurde. Dieses Bündnis hatte sich formiert, als der Landes-Elternausschuss (LEAK) ein Kita-Volksbegehren angestrebt hatte, um die Personalausstattung zu verbessern.
Das Zusammenstehen aller Träger und Verbände, das Engagement der Erzieherinnen und der Eltern sowie deren Beharren darauf, dass neue Aufgaben von den Teams nur erfüllt und externe Evaluationen nur durchgeführt werden, wenn sich die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten ändern, zahlten sich aus. Im Dezember 2009 beschloss das Abgeordnetenhaus endlich ein verändertes Kita-Gesetz. Über zwei Stufen wird sich die Personalsituation in den Berliner Kitas nun deutlich verbessern.
Evaluation bringt neue Einsichten
In der Kita Prellerweg konnte die Stundenzahl einer Kollegin bereits im April aufgestockt werden. Nun hofft das engagierte Team vor allem auf junge Fachkräfte mit neuen Ideen. In den zurückliegenden zwei Jahren beschäftigte es sich bei der internen Evaluation zu den Themen „Beobachtung“, „Dokumentation“ und „Raumgestaltung“ intensiv mit der eigenen Arbeit. „Wir kamen zu Erkenntnissen, die im Alltag nicht einfach nebenbei zu gewinnen sind“, sagt Sylvia Kaschner. Beim Thema „Beobachtung“ ging es vor allem darum, worauf die Kolleginnen ihre Aufmerksamkeit lenken, wie sie den Austausch über ihre Wahrnehmungen organisieren und wann sie Freiraum für das Aufschreiben finden. „Jetzt, nach zwei Jahren, kommt im Alltag an, was wir diskutierten, und wir merken, dass Dinge umgesetzt werden“, berichtet die Kita-Leiterin.
Bei der internen Evaluation zum Thema „Raumgestaltung“ stießen die Frauen schon im vergangenen Jahr auf Fragen, die durch die Außensicht der externen Evaluatorinnen bestätigt wurden: Wie sind die langen, schmalen Flure gestaltet? Welche Räume werden wenig genutzt? Wofür geben wir bisher zu wenig Raum? Wie können die Kinder in die Raumgestaltung einbezogen werden?
Die Zeit, diese Fragen zu beantworten, war günstig. Im vergangenen Jahr wurde das gesamte Haus saniert. Kürzlich verließen die Bauarbeiter die letzten Innenräume. Die Erzieherinnen nutzten die Gelegenheit, Türen herauszunehmen, Möbel umzustellen, den Kindern im Flur sinnliche Reize anzubieten.
„Die Kolleginnen erlebten, dass die Beobachtungen und Empfehlungen der Evaluatorinnen ihre Arbeit bereichern. Sie geben uns Impulse, wo wir als Team etwas verändern oder weiterentwickeln können“, sagt Maud Apel. Hilfreich war, dass die interne Evaluation immer von einer thematischen Fortbildung begleitet war. Dadurch fielen die Empfehlungen zur Raumgestaltung, die die externe Evaluation erbrachte, auf fruchtbaren Boden. Andere Themen tragen noch ein Fragezeichen, beispielsweise das Thema „Kinderparlament“. Wie funktioniert das?
Der 30-seitige Evaluationsbericht enthielt so viele anerkennende Worte für die Arbeit der Erzieherinnen, das man im Team staunte. „Sind das wirklich wir?“ fragten sich die Kolleginnen. „Ingesamt wurden wir in unserer Arbeit bestärkt“, fasst Sylvia Kaschner zusammen.
Evaluieren will gelernt sein
„Viele Erzieherinnen tun seit Jahrzehnten ihr Bestes. Das kann man nur anerkennen“, findet Gernot Krieger, der eine Probeevaluation durchführte. „Wertschätzung ist das oberste Gebot. Zugleich müssen Entwicklungsnotwendigkeiten konstruktiv benannt werden, damit die Teams sie annehmen und nachvollziehen können. Außerdem müssen wir sehen, was angesichts der Personalsituation, der Lage, der baulichen Beschaffenheit wirklich leistbar ist. Das ist die eigentliche Herausforderung für uns Evaluatoren, und das muss gelernt werden.“
Der Pädagoge Gernot Krieger ist für ektimo GbR unterwegs, die das an der Internationalen Akademie der Freien Universität Berlin (INA gGmbH) entwickelte Verfahren als Lizenznehmer nutzt. Das Verfahren sieht vor, zunächst alle einschlägigen Konzepte und Leitlinien der Kita und des Trägers zu studieren und später mehrere Stunden im Alltag zu hospitieren. Anschließend werden Kita-Leitung, Erzieherinnen, Eltern und Trägerverantwortliche systematisch befragt. Im Mittelpunkt stehen die acht Aufgabenbereiche des Berliner Bildungsprogramms: die Beteiligung der Kinder im Alltag, das Spiel, die Projektarbeit und deren Dokumentation, die Räume, die Zusammenarbeit mit den Eltern und der Schule sowie die Arbeit im Team. „Für jeden der Bereiche werden drei bis sechs Empfehlungen ausgesprochen, und wir benennen, was wir für wichtig halten.“
Oft genug stößt man dabei auf etwas, das dem Team bereits unter den Nägeln brannte, und die Kolleginnen können sofort an die Umsetzung gehen. Dabei gilt es, die nächsten fünf Jahre in den Blick zu nehmen – dann ist wieder eine externe Evaluation fällig. Das heißt: Gerade Evaluationen, die konkrete Empfehlungen für Gruppendiskussionen oder Teamgespräche liefern, wirken wie eine gute Wegbegleitung. Aber das ist leider nicht bei allen Anbietern der Fall.
Neuer Markt für Kita-Evaluatoren
Neben ektimo tummeln sich weitere, zum Teil junge Firmen auf dem sich neu herausbildenden Markt. Bereits 2005, als Qualitätsüberprüfung in Kitas noch Neuland war, bot der Paritätische Wohlfahrtsverband ein Verfahren an, um vor allem Personal-, Leitungs- und Organisationsfragen zu optimieren. Das verhalf Kita-Leitungen zu mehr Professionalität und Klarheit. „Den Fragenkatalog erweiterten wir um die pädagogischen Themen aus dem Bildungsplan“, erklärt Marcus Luttmer, Kita- Referent beim Paritätischen Wohlfahrtsverband in Berlin. Durch Beobachtung und Befragung werden vorab festgelegte Themenbereiche evaluiert und mit der Selbsteinschätzung der Kita verglichen. Einen Mehrwert sieht Luttmer in einer Datenbank der Kita, die zur Sicherung der Ergebnisse und zur kontinuierlichen Weiterarbeit genutzt wird. „Fast jede Kita hat heute einen Computer. Den nutzen wir nun auch für die Dokumentation der Arbeit.“
Die PädQUIS gGmbH bietet, ähnlich wie die Quecc GbR, ein aus der Forschung entlehntes Instrumentarium an. Mit seiner Hilfe können die Stärken und Schwächen einer Einrichtung aufgedeckt werden, und es zeigt sich, wo ein Team mehr Unterstützung vom Träger oder der Kommune braucht. Anderenorts wird es genutzt, um den Kitas das Kindergarten-Gütesiegel zu verleihen. Ungefähr 200 Einrichtungen sind es in Deutschland, an deren Türen das Siegel prangt. Das freut Prof. Wolfgang Tietze, dessen Traum es ist, ein Pendant zur Stiftung Warentest für Kindertageseinrichtungen zu schaffen. Er war es, der nach amerikanischem Vorbild in Deutschland erste Einschätzinstrumentarien in die Kita einführte und die Qualitätsdiskussion vor einem Jahrzehnt mit folgender Beurteilung anschob: Ein Drittel der Einrichtungen arbeitet gut, ein weiteres mäßig, und das letzte Drittel müsste eigentlich geschlossen werden.
Die Evaluation soll zur fortlaufenden Qualitätsentwicklung aller Kitas beitragen, und ihre Durchführung – für die übrigens Landesmittel zur Verfügung gestellt werden – ist verbindlich und Voraussetzung für die öffentliche Finanzierung, betont Gabriele Berry von der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung. „Wir wollen, dass sich alle Träger und Kitas diesem Entwicklungsprozess anschließen. Das ist sowohl vom Gesetzgeber als auch von den Vereinbarungspartnern der QVTAG vorgesehen.“
Evaluation hilft, pädagogische Ideen lebendig werden zu lassen
Inzwischen wurden sechs Evaluationsverfahren anerkannt und zugelassen. Weitere Verfahren werden hinzukommen und auf einer Anbietermesse vorgestellt. Das Berliner Kita-Institut für Qualitätsentwicklung (BeKi) wurde eigens gegründet, um die Prozesse zu begleiten, abzustimmen und dafür zu sorgen, dass alle 1950 Berliner Kitas in den nächsten fünf Jahren evaluiert werden. Das klingt nach einem Verwaltungsjob, bei dem ausgerechnet Christa Preissing den Hut auf hat, eine der umtriebigsten Expertinnen auf dem Gebiet der Frühpädagogik in Deutschland. Seit den 1970er Jahren gehörte sie zu den Erziehungswissenschaftlern, die den Situationsansatz entwickelten und Fachkräfte im Osten Deutschlands nach der Wende weiterbildeten. So wurde Bildungsarbeit in den Kitas etabliert, lange bevor das Thema durch den PISA-Schock öffentliche Aufmerksamkeit fand. 2002 leitete die Soziologin ein Team, das im Auftrag des Berliner Senats in Nacht- und Feiertagsarbeit das Bildungsprogramm entwickelte, das heute Grundlage für die Bildungsarbeit ist. Es beschreibt, wie Erzieherinnen und Erzieher agieren können, damit Kinder die Welt selbstständig, neugierig und lebensfroh entdecken. In dieses Bildungsprogramm floss das Herzblut der 58jährigen. Nun sieht sie ihre pädagogischen Ideen in eine Art Pubertät treten. Als Pädagogin weiß sie: In dieser Entwicklungsphase werden Weichen neu gestellt. „Das BeKi zu leiten ist für mich mit Gestaltungsmöglichkeiten verbunden. Hier kann ich mit Praxis und Politik zusammenwirken und Einfluss auf die gesamte Kita–Landschaft nehmen.“ Kinder lernen leichter, wenn die Erwachsenen erkennen, wofür sie offen sind, und die entsprechenden Anregungen bieten. „Mit der internen und externen Evaluation wollen wir dringend notwendige Reflexionsprozesse anstoßen, um die Erzieherinnen und Erzieher näher an die Bildungsprozesse der Kinder zu bringen“, sagt Christa Preissing und ist froh, dass es gelang, die Bedingungen für Erzieherinnen und Erzieher im Ringen um Qualität spürbar zu verbessern.
Nun stehen die nächsten Aufgaben an. Als Familienzentren können sich die Kitas stärker auf die Eltern zu bewegen, können Kindern mehr zutrauen, ihre Verschiedenheit besser erkennen und fördern, gerade vor dem Übergang in die Schule. All das sind Herausforderungen, die sich leichter bewältigen lassen, wenn das Schulterklopfen wohlwollender Evaluatoren ein Team ermutigt.
Martina Castello vom Eigenbetrieb Südwest meldete inzwischen die nächsten Kitas ihres Trägers zur externen Evaluation an. Auch wenn sie einräumt, dass einige Teams noch auf wackligen Füßen stehen – sie ist davon überzeugt, dass die Evaluation einen Schub an Ideen und pädagogischem Know-how bringen wird. „In fünf Jahren wird es in den Kitas selbstverständlich sein, die Kinder nach dem Berliner Bildungsprogramm zu begleiten.“ Bis dahin haben Christa Preissing und ihr Team Zeit, neue Handlungsgrundlagen für die Kitas zu erarbeiten.
Zur Klärung und Erklärung
Interne Evaluation
ermöglicht den Teams, die Qualität der eigenen Arbeit zu würdigen und die nächsten Entwicklungsschritte selbstkritisch aufzuspüren. Zweckmäßig ist es, dafür konkrete Vorhaben und Termine zu vereinbaren.
Zum Berliner Bildungsprogramm gehört ein Material zur internen Evaluation der Arbeit in der Kita, das es ermöglicht, Veränderungspotenziale für die qualitative Entwicklung in der Arbeit aufzuspüren. Das Vorgehen wird so beschrieben:
„Bei der internen Evaluation begeben sich zunächst jede einzelne Erzieherin und dann das gesamte Team der Kita in einen intensiven Prozess der Reflexion und Einschätzung der eigenen Arbeit entlang der durch das Berliner Bildungsprogramm begründeten Qualitätskriterien. So kann die interne Evaluation Teams bei der Umsetzung des Berliner Bildungsprogramms wirksame Hilfe bei der Klärung folgender Fragen geben:
- Wo liegen unsere Stärken?
- Was gelingt uns gut?
- Was müssen wir neu durchdenken?
- Wo gibt es Veränderungsbedarf?
- Was ist konkret zur weiteren Qualitätsentwicklung zu tun?
Im Mittelpunkt der Evaluation stehen die Erzieherinnen und Erzieher mit ihrem pädagogisch-methodischen Handeln, denn sie bestimmen maßgeblich mit, in welcher Weise sich die Kinder die Ziele und Inhalte des Bildungsprogramms aneignen können. Sie sind die entscheidenden Trägerinnen und Träger von Qualität, auch wenn darüber hinaus noch andere Bedingungen für Qualität eine wichtige Rolle spielen.“
Externe Evaluation
ergänzt die Innensicht um einen neutralen Blick von außen und liefert Empfehlungen für die Weiterentwicklung der Arbeit.
Interne und externe Evaluation sollen
- Wertschätzung für die erreichte Qualität vermitteln,
- Entwicklungsnotwendigkeiten aufzeigen,
- realistische Entwicklungsmöglichkeiten entsprechend der jeweiligen Rahmenbedingungen einschätzen.
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