Erzieherin mit Tablet

Zwischen Schweigepflicht und Sichtbarkeit: Warum Jugendhilfe auf Instagram einen Platz finden sollte

Sonia Cavallo

07.07.2025 | Fachbeitrag Kommentare (0)

Viele Träger der Jugendhilfe bleiben in der Öffentlichkeit unsichtbar, auch wenn ihre Arbeit wertvoll ist. Dieser Beitrag zeigt, warum Social Media in der ambulanten Erziehungshilfe kein Marketinginstrument sein muss, sondern ein Weg zu Teilhabe, Transparenz und Vertrauen sein kann – und welche besonderen Chancen und Herausforderungen sich daraus für die frühpädagogische Arbeit ergeben.

Ambulante Erziehungshilfe ist leise

Ambulante Hilfen zur Erziehung wirken in Wohnzimmern, auf Spielplätzen, im Gespräch mit Eltern, Jugendlichen oder Alleinerziehenden. Sie sind nah dran, aber kaum jemand sieht sie. Aus Sicht der Autorin, die als Geschäftsführerin eines freien Trägers tätig ist, zeigt sich tagtäglich, wie wirksam diese Arbeit ist und gleichzeitig, wie wenig davon in der Öffentlichkeit ankommt. Gerade frühpädagogische Fachkräfte, die Familien vom frühesten Kindesalter begleiten, leisten wertvolle Beziehungsarbeit, die jedoch selten dokumentiert oder kommuniziert wird.

Was sichtbar ist, darf mitsprechen

In einer Welt, in der junge Menschen, Eltern und Fachkräfte Informationen zunehmend über digitale Kanäle suchen, wirkt die Unsichtbarkeit der Jugendhilfe fast wie ein Tabu. Es geht nicht um Werbung, sondern um niedrigschwellige Aufklärung: Was macht eine sozialpädagogische Familienhilfe eigentlich? Was ist ein Erziehungsbeistand? Wann haben Familien Anspruch auf Unterstützung? Die Antwort auf diese Fragen bleibt oft aus – nicht, weil es keine Antworten gäbe, sondern weil sie kaum öffentlich vermittelt werden.

Ein Anfang ohne Filter

Die Lebensvision - Kinder und Jugendhilfe steht aktuell vor der Konzeption eines Social-Media-Auftritts. Der Träger plant ein Projekt, in dem Inhalte für einen zukünftigen Instagram-Kanal entwickelt werden: anonymisierte Alltagseinblicke, Zitate, Fachimpulse, Erklärgrafiken zur Jugendhilfe. Alles erfolgt in enger Rücksprache mit den Fachkräften und unter Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Aspekte. Ziel ist nicht Selbstdarstellung, sondern Teilhabe: Sichtbarkeit soll Brücken bauen.

Besondere Bedeutung kommt dabei der Mehrsprachigkeit zu. Viele betreute Familien sprechen mehrere Sprachen oder haben einen Migrationshintergrund. Inhalte in unterschiedlichen Sprachen – beispielsweise kurze Videos mit Untertiteln oder Infotexte auf Deutsch, Italienisch oder Arabisch können helfen, Hürden abzubauen und Vertrauen zu schaffen.

Resilienz und Beziehungsarbeit: Chancen für frühpädagogische Settings

Beziehungsarbeit ist der Kern jeder erfolgreichen Hilfe zur Erziehung und ein entscheidender Schutzfaktor für die Resilienz von Kindern. Die Fähigkeit zur Resilienz entwickelt sich insbesondere im frühkindlichen Alter in Reaktion auf stabilisierende Beziehungserfahrungen (vgl. Wustmann 2004). Frühpädagogische Fachkräfte in ambulanten Hilfen begegnen Familien nicht im institutionellen Rahmen, sondern mitten in ihrer Lebenswelt. Diese Offenheit ist eine große Chance für tragfähige Beziehungen, aber auch eine Herausforderung: Vertrauen muss unter Alltagsbedingungen wachsen, Widersprüche müssen ausgehalten und Prozesse sensibel begleitet werden. Das erfordert eine hohe fachliche Reflexion und die Bereitschaft, sich immer wieder auf neue Dynamiken einzulassen.

Im Unterschied zum stationären Kontext gibt es keine klare Trennung zwischen "Innen" und "Außen". Fachkräfte bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen Nähe und professioneller Distanz, zwischen fachlichem Anspruch und realer Machbarkeit. Gerade deshalb ist es so wichtig, Beziehungsarbeit nicht als "unsichtbaren" Teil der Arbeit zu behandeln, sondern bewusst zu reflektieren und kontextabhängig auch öffentlich sichtbar zu machen.

Beispielhafte Relevanz für die Frühpädagogik

Gerade in den ersten Lebensjahren bildet sich das Fundament für Beziehungsfähigkeit und emotionale Sicherheit. Wenn Eltern in dieser sensiblen Phase über soziale Medien auf niedrigschwellige Weise über Unterstützungsangebote erfahren, kann dies der erste Schritt sein, um Hilfen überhaupt anzunehmen. Social Media als digitale Brücke zwischen Fachkräften, Familien und Öffentlichkeit kann dabei ein Beitrag zur Prävention und zum Zugang zu früher Förderung sein (vgl. Andresen et al. 2022).

Fazit: Sichtbarkeit ist Teilhabe

Ein Instagram-Kanal ersetzt keine Beziehung, aber er kann Beziehung vorbereiten. Er kann Vorurteile abbauen, Schwellen senken und ein realistisches Bild von der Arbeit in der ambulanten Erziehungshilfe vermitteln. Sichtbarkeit fördert Akzeptanz und kann letztlich auch ein Beitrag zur Fachkräftegewinnung und zur Stärkung professioneller Haltungen sein.

Das hier skizzierte Projekt steht noch am Anfang. Doch die Reflexion darüber ist ein Beitrag zur Professionalisierung in einem Feld, das bislang wenig digitale Präsenz zeigt, obwohl es gesellschaftlich hochrelevant ist.

Autorin: Sonia Cavallo, Geschäftsführerin Lebensvision Kinder und Jugendhilfe GmbH, s.cavallo@lebensvision-jugendhilfe.de, www.lebensvision-jugendhilfe.de

Literatur:

  • Wustmann, C. (2004): Resilienz. Widerstandsfähigkeit von Kindern in Tageseinrichtungen fördern. Freiburg: Herder.
  • Andresen, S., Lips, A., Schröer, W. (Hrsg.) (2022): Handbuch Kinder- und Jugendhilfe. Wiesbaden: Springer VS.

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